Pflegefachverbände und Expert:innen sind sich einig: Kompetenzerweiterung und Rahmenbedingungen sind die Stellschrauben für die Fachkräftesicherung heute und in der Zukunft

München, 1. Februar 2023 – Bei der virtuellen Jahresakademie des Bayerischen Landespflegerats (BLPR) unter dem Motto „Gesundheit(s)-Beruf-Pflege“ warnten die Expert:innen vor einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems aufgrund des Fachkräftemangels. Sie fordern eine rasche Neuausrichtung der Pflege durch Kompetenzerweiterung und unter besseren Rahmenbedingungen.

Generaloberin Edith Dürr, Vorsitzende des BLPR und der Schwesternschaft München vom BRK e.V., begrüßte vorgestern nahezu 400 Teilnehmende und skizzierte in ihrer berufspolitischen Rede die ernstzunehmende Situation der Pflegeberufe: „Professionell Pflegende sind nicht mehr bereit, um jeden Preis und unter jeglicher Bedingung ein marodes Gesundheitssystem aufrechtzuerhalten ohne realistische Perspektive auf Verbesserungen.“ Ohne längst überfällige Reformen und eine berufsständische Selbstverwaltung befürchtet sie, dass die aktuell im Berufsleben stehenden Kolleg:innen in der Pflege sprichwörtlich die „letzte Generation“ darstellen.

Diese Befürchtung teilte auch Prof. Dr. Karin Kersting in ihrem Vortrag zum sogenannten Coolout in der Pflege, einem Prozess der moralischen Desensibilisierung. Die Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen am Rhein beleuchtete das Spannungsfeld zwischen fachlich-moralischem Anspruch und Realität der Gesundheitsberufe. Kirstin Ruttmann vom Universitätsklinikum Regensburg berichtete im anschließenden Vortrag über Ressourcen für die Förderung der psychischen Gesundheit des Gesundheitsfachpersonals und identifizierte erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit als wichtigen Faktor. Prof. Dr. Constanze Giese verwies auf das gesellschaftliche Mandat der Pflege – ein Auftrag und professionsethischer Anspruch, der aufgrund der unsicheren sozialen und wirtschaftlich ungerechten Arbeitsbedingungen nicht erfüllt werden kann. „Bewahren Sie Professionalität und Respektabilität statt Ihre berufliche Identität und Integrität aufzugeben“, forderte die Professorin der Katholischen Stiftungsfachhochschule München die Teilnehmenden auf. Prof. Dr. Melanie Messer befasste sich mit der Förderung von Gesundheitskompetenzen durch Pflegeberufe und kommt zum Schluss: „Pflegefachpersonen haben eine zentrale Rolle in der Vermittlung von Gesundheitskompetenz, aktuell wird diese Rolle aufgrund der Rahmenbedingungen kaum wahrgenommen.“ Die Pflegewissenschaftlerin der Universität Trier forderte neben strukturierten Qualifikationsmöglichkeiten auch die Schaffung organisationaler Rahmenbedingungen.

Gesundheits- und Pflegeminister Holetschek benannte in der Podiumsdiskussion die fehlenden Fachkräfte im System als Kernproblem. „Das Gesundheitssystem wird vorankommen, wenn wir die Pflege stärken. Neben verbesserten Rahmenbedingungen – wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, besseren Verdienstmöglichkeiten, attraktiven Karrieremöglichkeiten durch die Akademisierung oder verlässlichen Dienstplänen – ist dafür auch die Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten im Rahmen von Konzepten wie Community Health Nursing wichtig“, so der bayerische Pflegeminister.

Die BLPR-Vorsitzende wies noch einmal eindringlich auf den Stellenwert der Professionalisierungsentwicklungen hin und betonte: „Für Systemveränderungen braucht es einen breiten gesellschaftlichen Konsens und am Ende muss auch die Politik mitgehen“. Mit Blick auf die anstehenden bayerischen Landtagswahlen appellierte sie an den eigenen Berufsstand, die demokratischen Rechte wahrzunehmen: „Stehen Sie für Ihre Profession ein!“

Wer ist der BLPR?
Der Bayerische Landespflegerat (BLPR) ist ein Zusammenschluss von eigenständigen Berufsverbänden, Schwesternschaften und Berufs- und Pflegeorganisationen zur Förderung der Pflegeberufe. Der BLPR bündelt die berufspolitischen Aktivitäten seiner 14 Mitgliedsverbände, vertritt deren Positionen und Anliegen in der Öffentlichkeit, ist Ansprechpartner für alle landesspezifischen Belange des Profession Pflege, stärkt die politische Durchsetzung und fördert die berufliche Selbstverwaltung.
Wie der Deutsche Pflegerat auf der Bundesebene vertritt der BLPR auf der Länderebene die Pflegeberufe. Der BLPR, als Bayerische Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Pflegeberufe BAY.ARGE gegründet, besteht seit über 70 Jahren und ist damit der älteste Landespflegerat.

Information und Kontakt
Bayerischer Landespflegerat (BLPR)
Vorsitzende Frau Generaloberin Edith Dürr
Schwesternschaft München vom BRK e.V.
Rotkreuzplatz 8
80634 München
info@bayerischer-landespflegerat.de
www.bayerischer-landespflegerat.de

Mitgliedsverbände:
Berufsverband für Kinderkrankenpflege in Deutschland (BeKD) e.V.
Bundesverband Lehrende Gesundheitsberufe u. Sozialberufe (BLGS) e.V., Landesverband Bayern
Bundesverband Pflegemanagement e.V., LG Bayern
Caritas-Gemeinschaft für Pflege- u. Sozialberufe Bayern e.V.
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe, DBfK Südost e.V.
Deutsche Fachgesellschaft Psychiatrischer Pflege e.V. (DFPP)
Deutscher Pflegeverband e.V.
Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V., Landesvertretung Bayern, Sektion Pflege
Evangelische Pflegegemeinschaften
Katholische Pflegegemeinschaften und Pflegeorden
Katholischer Pflegeverband (KPV) e.V.
Verband der Pflegedienstleitungen Psychiatrischer Kliniken Bayern (VdPPsych) e.V.
Verband der Schwesternschaften vom Roten Kreuz in Bayern e.V.
Verband der PflegedirektorInnen der Universitätsklinika (VPU) e.V.

BRLP macht am Tag der Pflegenden auf drohenden Kollaps des Gesundheitswesens aufmerksam

München, 12. Mai 2022 – Am Internationalen Tag der Pflegenden warnt der Bayerische Landespflegerat (BLPR) vor einer maximalen Versorgungskrise in der Pflege und appelliert eindringlich an Politik und Gesellschaft, einen durchgreifenden Systemwechsel in die Wege zu leiten. Generaloberin Edith Dürr, Vorsitzende des Bayerischen Landespflegerats (BLPR), nimmt den Geburtstag der britischen Pflegepionierin Florence Nightingale zum Anlass, um auf den drohenden Kollaps im deutschen Gesundheitswesen hinzuweisen.

„Wir brauchen keine weiteren Studien zum Fachkräftemangel oder Prognosen über die Zuspitzung der bestehenden Misere“, erklärt Dürr am Tag der Pflege und fügt hinzu: „Wir steuern auf eine Katastrophe zu, die nur durch eine tiefgreifende Strukturreform des Gesundheitswesens aufgehalten werden kann.“ Nach zwei Jahren Pandemie sieht die BLPR-Vorsitzende die Pflegeprofession am Rande der Erschöpfung. Sie fordert endlich eine Umsetzung der in Aussicht gestellten Verbesserungen, unter anderem verbindliche Pflegepersonalschlüssel und Steuererleichterungen, um Pflegefachkräfte im Beruf halten und dringend benötigte Nachwuchskräfte gewinnen zu können. Für wirklich zukunftsfähige und zukunftssichernde Lösungen müssen Expert:innen aller Professionen gleichberechtig am Tisch sitzen. „Die von Bundesgesundheitsminister Lauterbach ins Leben gerufene ‚Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung‘ greift viel zu kurz“, sagt Dürr und verlangt eine multidisziplinäre Regierungskommission für den Systemwechsel im Gesundheitswesen.

Die finanzielle Situation sei angespannt aufgrund der Pandemie und des Ukrainekriegs. „Doch auch Mitte des 19. Jahrhunderts gab es grundlegende sozialökonomische Umwälzungen“, gibt Dürr zu bedenken. Am Tag der Pflege am 12. Mai jährt sich der Geburtstag der britischen Krankenschwester Florence Nightingale (1820-1910), die als Begründerin und Pionierin der modernen Krankenpflege gilt. Ihre Forderungen nach einer grundlegenden Umstrukturierung des Militär-Sanitätswesens wurden erst erhört, als sie die katastrophalen Zustände bei der Versorgung britischer Kriegsverletzter im Krimkrieg (1853–1856) öffentlich gemacht hatte. „Florence Nightingale würde heute in den wichtigen Fachgremien mit am Tisch sitzen“, ist die BLPR-Vorsitzende überzeugt. „Offensichtlich haben Politik und Gesellschaft 170 Jahre später in Deutschland noch immer nicht verstanden, welchen Stellenwert Pflege für das Gemeinwohl hat.“ Generaloberin Dürr ist nicht gewillt, in ihren Bemühungen nachzulassen und vergleicht die Weiterentwicklung der Pflegeprofession mit der Bewegung von Kontinentalplatten: „Während die Kräfte im Erdinnern gewaltig sind, sind die Bewegungen an der Oberfläche gering. Wir haben jedoch keine Jahrmillionen mehr, um ein Gebirge, sprich die Gesundheitsstrukturreform, entstehen zu lassen. Wir müssen jetzt handeln!“